Unser Selbstverständnis zum Umgang mit Sexismus und sexualisierten Übergriffen

 

Dieses Selbstverständnis ist aus Diskussionen in und um Freiraum entstanden. Das Ziel ist zu versuchen unmittelbar einen anderen Umgang miteinander zu praktizieren und zur Überwindung der Geschlechterordnung beizutragen. Generell muss die Auseinandersetzung mit Sexismen immer und nicht nur anlassbezogen vorhanden sein. Unsere Denk- und Umgangsformen sind auch Teil dieser Verhältnisse, weshalb wir sie reflektieren und nach anderen Formen suchen und mit ihnen experimentieren wollen. Wo jedoch nicht ein Mal Bereitschaft besteht sich mit sexistischem Verhalten auseinander zusetzen, werden wir das nicht tolerieren. Sexismus, egal ob bewusst oder unbewusst, ist ein Verhalten zur Aufrechterhaltung HERRschender Machtverhältnisse und damit ein Angriff auf alle Menschen, die von diesen Verhältnissen unterdrückt werden und in nächster Linie auch auf alle die diese Machtverhältnisse zerstören wollen.

Ganz wichtig ist uns dabei, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt bedingungslos unterstützt werden. Es liegt in der alleinigen Macht jedes einzelnen Menschen zu definieren ob erlebtes Verhalten eine Grenzverletzung und sexualisierte Gewalt für sie_ihn darstellt oder nicht. Der im folgenden beschriebene Umgang mit sexualisierter Gewalt ist allerdings speziell für die Fälle geschaffen, in denen Frauen einen Übergriff durch Männer erfahren und nur in diesem Fall gültig.
Das Patriarchat ist ein komplexes Herrschafts- und Gewaltverhältnis, das vielfältige Subjektivitäten hervorbringt und diese ganz unterschiedlich betrifft. Männer können Männer unterdrücken und auch Frauen Männer. Zum Beispiel ist eine starke Abweichung von der Heteronorm bei Männern eine Ursache für massive Diskriminierung. Wir werden alle Personen, die Grenzverletzung erlebt haben, unterstützen. Entscheidend für unser Konzept ist jedoch, dass sich patriarchale Verhältnisse durch eindeutige und massive Machtasymmetrien zugunsten von Männern über Frauen auszeichnen. Die Unterdrückung von Frauen wird durch Sexismen und sexualisierte Gewalt ständig reproduziert. Deshalb ist es wichtig bedingungslos Stellung zu beziehen. Das Konzept dient dem Schutz der betroffenen Frauen, soll Macht umverteilen und langfristig zur Abschaffung der patriarchalen Verhältnisse beitragen. Es ist ein sehr starkes Konzept, und das ist gut so und notwendig – es erfordert jedoch auch einen verantwortlichen Umgang des Umfeldes damit. (Konkret – siehe 1.12.3)
Keine emanzipatorische Praxis ist frei von Widersprüchen. Wir sind uns aber einig, dass es besser ist, der uns alle durchdringenden gesellschaftlichen Scheiße, eine gemeinsame Praxis entgegenzusetzen, als darauf zu vertrauen, dass sich auch ohne kollektive Überlegung ein emanzipatorischer Umgang entwickeln würde. Uns ist bewusst, dass das Konzept selbst Widersprüche beinhaltet, allerdings ist es unserer Meinung nach derzeit die Beste Idee zum Umgang mit Sexualisierter Gewalt. Damit dies aber funktioniert und nicht zu neuerlichen Problemen führt ist es genauso wichtig auch auf den eigenen Umgang damit zu achten und darüber zu reflektieren.

Sexualisierte Übergriffe sind sexistisch, aber nicht jeder Sexismus ist ein sexualisierter Übergriff. Die beiden Vorwürfe bedingen einen unterschiedlichen Umgang. Die Unterscheidung der beiden Vorwürfe wollen wir bewusst nicht klar eingrenzen, weil es immer in der Macht der Betroffenen liegen muss, zu definieren, um was es sich handelt.

Es ist notwendig innerhalb einer Gruppe beide Vorwürfe machen zu können – den des Sexismus und den des Übergriffs – und mit beiden Vorwürfen ernst genommen zu werden. Beides ist nicht tolerierbar und erfordert Auseinandersetzung.

1. sexistisches Verhalten

Sexistisches Verhalten, wie blöde Kommentare, einer Frau den Hammer aus der Hand nehmen, weil’s Mann besser kann, Aufgaben automatisch geschlechterstereotyp verteilen, usw. sind beschissen und sollten Konsequenzen haben. z.B.: Ansprechen, Sichtbarmachen, Diskussion in der Gruppe, auch Rauswurf. Dafür ist es notwendig einen Umgang miteinander zu praktizieren in dem ein Ansprechen und Thematisieren, somit auch gegenseitiges Ver-Lernen von problematischen Verhaltensweisen möglich ist. Sexismus sollte immer thematisiert, angesprochen, bekämpft werden – Menschen denen sexistisches Verhalten auffällt und die nicht alleine aktiv werden wollen, sollten jederzeit Solidarität in der Gruppe finden. Hier geht es um die Bekämpfung von beschissenem, angelerntem Verhalten und nicht um Moralisierung und die Abwertung der Person. Wenn eine Betroffene ein Verhalten als Sexismus definiert bzw sich niemensch direkt als Betroffene fühlt, aber sexistisches Verhalten beobachtet wird, dann liegt es in der Verantwortung aller, dieses Verhalten zu bekämpfen.

2. sexualisierte Gewalt

Aber es gibt auch noch eine andere Art von Vorwürfen, jene wo eine Frau definiert, dass ihre Grenzen überschritten worden sind – also sexualisierte Gewalt. Diese erfordern einen anderen Umgang, bei dem es zunächst um eine konkrete Unterstützung der Betroffenen. Definiert eine Betroffene eine Handlung als Grenzverletzung und sexualisierte Gewalt, dann gilt für den weiteren Umgang die nicht Hinterfragung der Definitionsmacht und Parteilichkeit mit der Betroffenen. Damit sich Betroffene auch darauf verlassen können, kann der hier beschriebene Umgang mit sexualisierter Gewalt nicht unmittelbar in Zusammenhang mit einem Vorfall in Frage gestellt werden.

Definitionsmacht
heisst hier, dass nur Betroffene definieren können ob ein Vorfall ein sexualisierter Übergriff war. Es gibt keine scheinbar "objektiven" Kriterien, die bestimmen können "nun sind deine Grenzen verletzt worden", oder "da sicher nicht". Ich kann einer anderen Person nicht einfach ihr Empfinden, ihre Ohnmacht mit "objektiven" Kriterien absprechen, wenn die Betroffene etwas so empfindet, dann war es für die Betroffene auch so.

Parteilichkeit
ist eine innere Haltung und ein aktiv nach außen gerichtetes Handeln, zur Unterstützung von Menschen (Frauen), die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Parteilichkeit bedeutet, dass die Benennung einer Grenzverletzung nicht in Frage gestellt, sondern als solche respektiert und akzeptiert wird. Hat eine Frau eine Grenzverletzung erlebt, liegt es an ihr zu entscheiden welche Schritte sie im weiteren Umgamg für richtig hält. Parteilichkeit verlangt nicht nur eine Reflexion darüber, warum keine "skeptischen" Nachfragen zu stellen sind, sondern meint auch eine klare innere Haltung und damit ein konsequentes Herangehen. Es geht darum, selbst einen Umgang mit Grenzverletzungen zu finden, der sich eindeutig auf die Seite der Betroffenen stellt. Wer sich nicht parteilich mit der Betroffenen zeigt, ist solidarisch mit dem Täter: ihm genügt Schweigen. Parteilichkeit schafft (lebens-)wichtige Konsequenzen für die Betroffenen und ermöglicht aus der Ohnmachtserfahrung herauszutreten. Parteilichkeit hat jedoch auch ihre Grenzen und zwar dann, wenn die Forderungen der Betroffenen das überschreiten, was du als legitimes politisches Mittel betrachtest und dort, wo du deine persönlichen Grenzen deiner Möglichkeiten siehst. Es ist wichtig, dass du dir Brüche und Schwierigkeiten mit Parteilichkeit eingestehst, sowohl für dich selbst, jedoch in erster Linie für die Betroffene. Wenn du mit einer Betroffenen nicht parteilich sein kannst, mach deutlich, dass du die Definitionsmacht anerkennst und zieh dich dann aus der Debatte zurück. Klar sollte jedoch sein, dass Forderungen, die dem unmittelbaren Schutz der Betroffenen dienen – wie beispielsweise Ausschlüsse von Räumen – von allen beteiligten Personen unterstützt werden müssen.
 
3. Konkreter Umgang mit Sexualisierter Gewalt im Projekt

Vertraulicher Umgang:
Jede Inanspruchnahme der Definitionsmacht ist schwierig und bedeutet für die Betroffene viel Überwindung und Mut. Mit allen, was sie erzählt, soll respektvoll, vertraulich und verantwortlich umgegangen werden. Dies bedeutet einerseits, nichts weiterzuerzählen, was mensch erfährt – es sei denn, die Betroffene beschließt, den Übergriff öffentlich zu machen. Durch den allgemein üblichen Szenetratsch können schnell Dynamiken entstehen, die in niemandes Interesse stehen. Parteilich und verantwortlich zu sein, bedeutet auch, verantwortlich mit Informationen umzugehen.
Genauso wichtig ist es auf Gruppendynamiken zu achten und die Selbstreflexion nicht zu vergessen. Das Bekanntwerden eines Täters, offiziell oder durch Gerüchte spricht nicht alle anderen davon frei sich mit den eigenen Sexismen, oder unsolidarischem Verhalten auseinandersetzen zu müssen.

Vertrauenspersonen:
Menschen, an die sich eine Betroffene wenden kann, um einen Vorwurf einzubringen. Vorwürfe sollen nicht nur von der Betroffenen selbst am Plenum eingebracht werden können sondern auch von Vertrauenspersonen. Dies ermöglicht auch, dass die Betroffene auf Wunsch anonym bleiben kann. Vertrauenspersonen können entweder von der Betroffenen selbst gewünschte Menschen sein, die dies tun wollen, aber wir werden auch versuchen Ansprechpersonen zu kommunizieren an die sich eine Betroffene immer wenden können.

Aufgabe der Vertrauenspersonen:
Die Vertrauenspersonen sollen für die Kommunikation der Forderungen, Rückfragen und Unterstützung da sein.

Erreichbarkeit der Vertrauenspersone:
Vertrauenspersonen sollen im internen Wiki gemeinsam mit eventuellen Forderungen, Bedürfnissen und dem "aktuellen Stand" einsehbar sein um möglichst hohe Transparenz zu erreichen.

Umgang mit Täter:
Am wichtigsten bei jeglichem Umgang mit Tätern muss immer das Wohl der Betroffenen sein. Wenn es Forderungen von ihr gibt, wie mit dem Täter umgegangen werden soll, dann wird das auch genau so gemacht.
Lässt die Betroffene offen wie der Umgang der Gruppe mit dem Täter sein soll, dann wird in einem Gespräch der Gruppe über den weiteren Umgang entschieden. Dabei ist aber klar, dass die Gruppe alle Forderungen der Betroffenen unterstützt, dh wenn der Täter in der Gruppe bleiben will, muss er ihre Forderungen einhalten. Beim Gespräch sollte vor allem auf Personen geachtet werden, die sich unwohl fühlen, weiter mit dem Täter zusammenzuarbeiten.

Wenn es für alle vorstellbar ist, dass der Täter weiter in der Gruppe ist, dann werden wir versuchen, uns in bzw auch außerhalb des Plenums mit ihm und seinem Verhalten auseinanderzusetzen. Natürlich kann das nur funktionieren, wenn er die Defintionsmacht anerkennt und dazu bereit ist, an sich zu arbeiten. [Täterarbeit]

 
4. Begriffsklärungen

Sexualisierte Gewalt statt sexueller Gewalt:
"Sexuelle Gewalt" impliziert, dass es primär um Sexualität ginge, was bei sexualisierter Gewalt aber nicht der Fall ist. Sie dient der Aufrechterhaltung und Herstellung von Machtverhältnissen, indem zum Beispiel das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper der Betroffenen übergangen wird. Der Begriff sexualisierte Gewalt berücksichtigt, dass sich Gewalt und Unterdrückung zwar häufig über sexuelle Handlungen ausdrücken, es dabei aber nicht um Sexualität und sexuelle Bedürfnisse und Befriedigungen, sondern um Ausübung von Macht und Gewalt geht. Sexualität wird deshalb so häufig als Mittel verwendet, weil damit die Selbstbestimmung über den eigenen Körper durch eine andere Person ausgehebelt wird. Sexuelle Gewalt würde nahelegen, dass die Sexualität im Mittelpunkt steht, darum geht es aber nicht, sondern sie ist ein Mittel zum Zweck der Gewalt. Auch wenn es subjektiv für den Täter um sexuelle Bedürfnisse geht, ist der Effekt eines Übergriffs/Vergewaltigung immer die Aufrechterhaltung eines Unterdrückungsverhältnisses, und Nichtanerkennung der Selbstbestimmung der Betroffenen.

Betroffene:
statt Opfer, da der Opfer-Begriff eine unüberwindbare Passivität beinhaltet und es aber darum geht (wieder) eine aktive Position einzunehmen.

Täter:
jegliche Person, die die Grenzen einer anderen Person überschreitet und ihre körperliche und/oder geistige Integrität verletzt. Alle Männer, männlich geprägte Menschen sind potentielle Täter, nicht weil alle dies sein wollen, sondern aufgrund der patriarchalen Machtverhältnisse. Darum braucht es auch eine aktive Auseinandersetzung mit bzw. ein "entlernen" der "männlichen" Verhaltensweisen und Privilegien, was durchaus ein langer und auch schmerzhafter Prozess ist, wo es zunächst darum geht, sich über das eigene Verhalten bewusst zu werden und dann einen anderen Umgang zu praktizieren. Hier geht es nicht darum die besseren Theorien zu entwickeln, sondern auch Emotionen und Ängste, die dabei ausgelöst werden, zu thematisieren. Wir tragen Verantwortung für unsere Handlungen und ein einfaches Abschieben der Verantwortung auf die Gesellschaftlichen Verhältnisse wirds wohl nicht tun.

Wir verwenden die Begriffe "Betroffene"in der weiblichen und "Täter" in der männlichen Form, weil sexualisierte Gewalt hauptsächlich von Männern ausgeht. Wir wollen damit nicht verschweigen, dass auch andere Gender sexualisierte Gewalt ausüben bzw erfahren können. Eine gendergerechte Formulierung verschleiert aber die tatsächlichen HERRschaftsverhältnisse in dieser Gesellschaft, vor denen auch keine Szene gefeit ist!

 
5. Anregungen zur Reflexion über Sexismen in der Gruppe

  • Männerdominanz
  • Informelle Hierarchien
  • Wissen über Ressourcen
  • Persönliche Kontakte/Netzwerke/(Männer-)bünde
  • Plenumsstruktur
  • Wie und über was wird diskutiert
  • Wem und welchen Themen wird Zeit und Raum gegeben
  • Unterbrechen von Frauen wenn sie reden
  • Überproportionale Sanktionierung wenn Frauen Normen nicht einhalten

Anregungen und Plagiate (unter anderem) von:

Antisexismus_reloaded
DEFMA-Gruppe Wien

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